Glasmalerei von Albrecht Dürer in Klettwitz

Das können wir nicht mehr übersehen …

5.Januar2020

Kleine Geschehnisse nehmen wir oft gar nicht wahr. Kleine Anfänge werden oft gleich im Keim erstickt. Kleine Dinge übersieht man leicht. So geht es uns im Alltag, im Beruf und im Zusammensein mit unseren Mitmenschen. Vergleichbar damit ist ein Besuch in der Dorfkirche im nahen Klettwitz. In der Kirche sind wir überwältigt von der Harmonie und bewegt von der Ausstrahlung, die der sakrale Raum auf uns hat. Wir sehen hinter dem großen nur mit Kerzen besetzbaren Radleuchter den spätgotischen Altar mit seinen Bilderszenen und den Taufstein mit der Figur des taufenden Johannes auf dem Deckel. Wir blicken zur Decke und sehen die ornamentale Vielfalt der vielen Einzelfelder. Das zum Hinsetzen einladende Gestühl und die bunten Fenster in den großen Seitenflügeln beeindrucken uns. Das große Kruzifix an der Nordwand macht den Raum zu dem Ort, den er sein soll. Ein Ort der Stille, des Gedenkens, der Andacht, des Gebetes. Und die Schauseite der Orgel auf der Empore passt zum Ambiente und der Klang dieses Instrumentes erfreut unsere Herzen. Das alles entstand in dieser Form erst 1905 bis 1907, als der Architekt Carl Weber zusammen mit Wilhelm Blaue aus Berlin die kleine Dorfkirche wegen der gewachsenen Einwohnerzahl des Ortes vergrößerten und nach historischen Vorbildern ausstatteten. Historismus sagt der Fachmann dazu.

Bald hätten wir die drei sehr kleinen Farbglasscheiben in mitten der Südfenster übersehen. In der Barockzeit war es hier und da üblich, derartige nur von Nahem erkennbare Farbverglasungen als kleine Stiftungen in Kirchenfenster einzubauen. Wilhelm Blaue, 1873 in Kassel geboren, Studium der Architektur an mehreren Universitäten, spezialisiert auf Wand- und Glasmalerei, herangezogen zur Restaurierung vieler Kirchen, gestorben 1967, fertigte diese Scheiben an und setze so einen Punkt auf die Gesamtausstattung der Klettwitzer Kirche. „W-B-1906“ ist im gelben floralen Rahmen zu lesen. Dargestellt sind die biblischen Themen von Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Jesu.
Nicht nur die Idee dieser kleinen Farbglasscheiben, sondern auch die Vorlagen für die Motive stammen aus der frühen Neuzeit im 16. Jahrhundert. Wir sehen uns die Scheibe mit der Darstellung der Geburt Jesu und der Anbetung der Hirten näher an.

Das Bild stammt von einem Holzschnitt, den kein geringerer als der große Nürnberger Maler Albrecht Dürer 1509 bis 1511 gefertigt hat.
Dieses ist an seinem Signum „AD“ zu erkennen, das alle 36 Holzschnitte mit dem lateinischen Titel „Passio Christi ab Alberto Durer Nurenbergensi effigiata cu varij generis carminibus Fratris Benedicti Chelidonij Musophili“ tragen. Vor einem völlig ruinösen Bau aus Stein im Stall mit kaputten Reetdach knien Mutter Maria und Joseph vor dem in einem Korb liegenden Christkindbaby. Dahinter sitzt ein kleiner Himmelsbote und weist damit auf die Besonderheit des Geschehens hin.
Auf der anderen Seite des Korbes knien andächtig zwei Hirten. Der eine hat seinen Dudelsack für ein Ständchen mitgebracht.
Die Hirten kommen von den nahe gelegenen Feldern, wo sie Schafe hüten und von einer überwältigenden Himmelsbotschaft überrascht wurden:
„Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“ Im Hintergrund des Holzschnittes sind die Herde und ein Engel mit einem Spruchband zu erahnen. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ steht darauf.

Wilhelm Blaue hat seinem Bild eine symmetrische Anlage gegeben.
Unter dem hell leuchtenden Stern als Wegweiser in der Mitte steht der von Engelchen bewachte Stall. Die Eltern des Kindes und die beiden Hirten knien in gleichem Abstand vor dem Neugeborenen.
Dieses ist zum Mittelpunkt geworden. Aus dem Bogenfenster blickend ist das beschriebene Geschehen auf den Feldern zentral zu sehen:
Die Botschaft, die zu den Menschen kommt.

Kleine Geschehnisse nehmen wir oft gar nicht wahr. Kleine Anfänge werden oft gleich im Keim erstickt. Kleine Dinge übersieht man leicht. Dieses Bildchen in der Kirche nehmen wir nicht gleich wahr, leicht übersehen wir es. Aber dieser neue Anfang auf Erden wurde trotz vieler Anfeindungen nicht im Keim erstickt. Er bestimmt unser ganzes Leben, auch wenn wir das leicht übersehen. Advent und Weihnachten, aber auch Karfreitag, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten haben wir nur deshalb als Feiertage. Unser Grundgesetz steht auf dieser Basis. Unser Zusammenleben und unsere Beziehungen untereinander können, dürfen, ja sollten durch das Kind in der Krippe bestimmt sein. Und wir können ihn, den Christus, dankbar oder bittend anbeten wo immer wir auch sind, in der Klettwitzer Kirche, der großen Senftenberger Peter-Paul-Kirche, in einem Gemeinderaum, bei der Arbeit, unterwegs oder im heimischen Zimmer. Dieses Geschehen im unwirtlichen kleinen Raum können wir nicht mehr so einfach übersehen. Albrecht Dürer, Wilhelm Blaue und ihr Bildchen in der Klettwitzer Dorfkirche wollen uns dabei behilflich sein.

Text, Titelfoto und Fotokopie: Rudolf Bönisch, Lübbenau/Spreewald

Hinweis: Im Heimatkalender des Altkreises Senftenberg „Kippensand 2019“ auf den Seiten 114 bis 116 ist der Beitrag von Rudolf Bönisch „Glasmalerei von Wilhelm Blaue 1906 nach Holzschnitten von 1511. Motive von Albrecht Dürer in Klettwitz“ abgedruckt.

5. Januar 2020
Rudolf Bönisch
860 Wörter
3 Bilder

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